100 Jahre Lindenthaler aus Leidenschaft

Linden. „Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert“. Zeitlose Worte, gesprochen 1991 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Heute würde er vielleicht noch das Wort „systemrelevant“ dazusetzen. Schließlich ist die Kultur der Kitt, der Gesellschaften zusammenhält, gerade in Zeiten, in denen der „wind of change“ besonders stürmisch weht.

Ein stolzer Traditionsverein: Bereits im letzten Jahr entstand das Gruppenfoto mit allen Aktiven der Lindenthaler

Doch momentan ist kulturelle Windstille. Musik, Tanz, Theater – was dem Menschen normalerweise zur Freude gereicht ist nicht, oder nur zu Bedingungen möglich, zu denen weder beim Publikum noch bei den Ausführenden Freude aufkommen kann. Lösungen im Autokino-Setting sind zwar kreativ, stehen aber gleichsam symptomatisch für den derzeitigen Zustand der Kulturlandschaft: Sie hängt an einem notdürftigen Beatmungsgerät mit ungewisser Überlebensprognose.

Musik, Tanz, Theater, das sind auch die fundamentalsten Lebenselixiere der Lindenthaler, seit Monaten sind sie versiegt und gerade an diesem Wochenende schmerzt es besonders. Man wollte feiern. 100 Jahre – Lindenthaler aus Leidenschaft! Ein großes Jubiläumsfest mit einem fulminanten Programm. Mit Musik, Tanz und Theater. Mit keinem geringeren als den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als Schirmherrn, der die Lindenthaler in seinem Einladungs-Grußwort als „Paradebeispiel für den Wert ehrenamtlichen Engagements“ bezeichnete.

Aber die Hebertsfeldener Trachtler sind wie so viele coronabedingt zwangsruhiggestellt. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr. Ausgerechnet die Lindenthaler, die normalerweise vor Kraft und Aktivität nur so strotzen und dadurch schon mancher Krise die Stirn geboten haben. Allein die Gründung fiel in bewegte Zeiten. Die Tonindustrie erfuhr nach dem ersten Weltkrieg einen Aufschwung. Der Hebertsfeldener Zweigbetrieb der Kolbermor’schen Tonwarenfabrik suchte Arbeitskräfte und so kamen junge Männer vom Stammhaus an der Mangfall zum Zweigbetrieb an der Rott. Mit ihnen fand die Gebirgstracht ihren Weg nach Hebertsfelden. 1920 mündete dies in die Gründung des Trachtenvereins Lindenthaler.

Das älteste Gruppenfoto der Lindenthaler im Jahr 1920 kurze Zeit nach der Gründung im Gasthaus Eberl in Linden.

Das Schuhplatteln sollte die stärkste Domäne des Vereins werden. Schnell fand die Rottaler Bevölkerung Gefallen an dieser beindruckenden Tanzform. Doch die Lindenthaler wollten mehr. Sie wollten zeigen, dass sie die Besten sind.Bis sie das erste nennenswerte Ergebnis vom Gaupreisplatteln, eine Art sportlicher Wettbewerb des Dachverbandes, nach Hause brachten, lief jedoch noch viel Wasser die Rott gen Osten. 1975 aber war es soweit. In der Gruppenwertung erreichten die Aktiven wie auch die Jugend den ersten Platz. Damit fiel der Startschuss für eine Erfolgsserie, die bis heute anhält und die Plattler und Tänzerinnen zu Auftritten bis nach England, Italien, Ungarn und Frankreich führt.

Schon immer war es eine Stärke der Lindenthaler, immense Arbeitsleistungen zu vollbringen. Fünf Mal waren sie Veranstalter großer Trachtenfeste: 1925 ließen sie ihre erste Fahne segnen, 1970 feierten sie ihr 50-jähriges Gründungsjubiläum, 1985 waren sie Ausrichter des Gautrachtenfestes des Bayerischen Inngautrachtenverbandes, 1995 feierten sie die Weihe ihrer neuen Vereinsfahne und 2010 ein großes Fest zum 90-jährigen Gründungsjubiläum.

Noch in den 1920er Jahren begann die Theatertradition der Lindenthaler. Das älteste Foto zeigt die Darsteller von Jennerweins Ende.

1984 bauten sie ihr eigenes Vereinsheim und schufen damit die Grundlage für eine noch intensivere Jugendarbeit. Dieses Vereinsheim mit gut ausgestatteter Bühne gab auch der Volkstheaterkunst der Lindenthaler, deren Tradition bis zur Gründerzeit zurückreicht, einen weiteren Schub. 1994 machte das Theaterensemble mit der Lebensgeschichte des Rottaler Volksheiligen Bruder Konrad deutschlandweit auf sich aufmerksam. 2004 und 2014 wurde dieses Festspiel, begleitet von großem Medienecho, wiederholt. Das satirische Theaterbrettl ist seit über 25 Jahren ein Publikumsrenner und im Herbst wird traditionell eine Komödie aufgeführt, 16 Vorstellungen vor ausverkauftem Hause sind die Regel.

2020 könnte auch hier eine Ausnahme bilden. Es wäre das erste Mal seit dem Krieg. Nach den am vergangenen Montag beschlossenen Lockerungen dürften maximal 100 Personen in den Saal, jedoch nur, wenn das Abstandsgebot so viele zulässt. Die Maskenpflicht besteht nach wie vor, die Inszenierung wäre wegen des einzuhaltenden Mindestabstandes ohne jeglichen Körperkontakt relativ statisch. Um Volkstheater a‘ la Lindenthaler möglich zu machen, müssten sich die Regeln bis zum Herbst noch grundlegend ändern.

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft mit Eggenfelden tanzten die Lindenthaler im Juni 1993 auf den Straßen von Carcassonne.

Doch den Kopf in den Sand zu stecken wäre ganz und gar nicht lindenthalerisch. Es gelang immer, am Ball zu bleiben, neue Impulse zu setzen. Anfang der 80er Jahre wurde eine Goaßlschnalzergruppe ins Leben gerufen. Gerade junge Leute entdeckten in den letzten Jahren das gemeinsame Musizieren, was zur Gründung der „Lindenthaler Bläser“ führte. Immerhin dürfen die bereits wieder proben, mit zwei Meter Abstand.

So ruhen nun alle Hoffnungen auf 2021. Der im Rahmen des Jubiläums geplante Abend „3 Jahre Petzenhauser & Wählt treffen 100 Jahre Lindenthaler“, ein einmaliges Aufeinandertreffen des bekannten Kabarettduos mit den Volksschauspielern der Lindenthaler, wird am 23. April 2021 um 20 Uhr in der Mehrzweckhalle in Mitterskirchen nachgeholt. Deshalb behalten alle gekauften Karten ihre Gültigkeit. Die Party mit der Bayern 3 Band, die am 13 Juni hätte stattfinden sollen, wird nicht nachgeholt, bereits erworbene Karten können noch bis Ende Juni 2020 bei Inn-Salzach-Ticket gegen einen Gutschein umgetauscht werden.

 

Im Mai 1976 wurde bei einem Heimatabend in Arnstorf erstmals der „Holzhacker“ aufgeführt.

Aber einen Festheimatabend soll es nächstes Jahr geben, um dem Jubiläum, wenn schon keinen großen, dann zumindest einen würdigen Rahmen zu verleihen. Und um dann gemeinsam wieder nach vorne zu schauen. Um dem Kulturellen wieder den Stellenwert zu verschaffen, den es zum inneren Überleben braucht. Mit Zuversicht und vor allem: mit Leidenschaft.